„Auferstehung“ (Die Frauen finden das leere Grab)
Am Ende der Passionsreihe steht ein Bild, das eigentlich gar nicht mehr richtig zur Passion gehört. Und doch ist es so untrennbar mit der Passionsgeschichte verbunden, dass es in dieser Bilderreihe nicht fehlen kann. Es zeigt den vorläufigen Endpunkt, der zugleich der Anfang von etwas ganz Neuem ist: Das leere Grab, die Schrecksekunde, die alles durcheinanderbringt und das Erwartete auf den Kopf stellt.
Die drei Frauen am rechten Bildrand erwarten, ein Grab mit einem Leichnam vorzufinden. Sie haben wohlriechende Öle dabei, um den Leichengeruch zu vertreiben. Sie wollen ihre Trauer ausleben, sich damit auseinandersetzen. Sie wollen ihre Trauer „aufarbeiten“, würde man heute sagen.
Aber sie finden nicht das, was sie erwartet haben: Der Stein ist weggerollt, das Grab ist leer, und im Grab sitzt ein Engel, der ihnen aufträgt, allen von der Auferstehung zu berichten.
Diese Szene ist anders als all die vorhergehenden. Bisher war alles ganz logisch, nachvollziehbar. Ein Mann wird zum Tod verurteilt und hingerichtet. Bei uns heutzutage glücklicherweise etwas Unvorstellbares, damals eine Alltäglichkeit.
In dieser Szene aber passiert nun plötzlich etwas völlig Unerwartetes, etwas, das eigentlich nach menschlichem Ermessen überhaupt nicht passieren kann. Ein schwerer Felsbrocken ist wie von Geisterhand weggerollt, ein Leichnam ist verschwunden, und den Frauen begegnet ein Engel.
Die Szene ist auf durchscheinende Seide gemalt, sie scheint unwirklich. Ich habe sie deshalb auch viel einfacher gehalten als die anderen Bilder. Diese Szene hat noch keine Struktur, sie ist noch nicht durch viele Farben und Formen festgelegt. Sie schwebt gewissermaßen noch, ist noch unfertig. Man merkt es auch an der Reaktion der Frauen: Sie erschrecken, sie trauen ihren Augen nicht, und entgegen der Weisung des Engels erzählen sie niemandem davon. So unwirklich, so unglaublich erscheint ihnen das, was sie gesehen haben. Vielleicht sind sie sich im Nachhinein nicht einmal mehr sicher, ob sie es wirklich gesehen haben.
Und doch ist es geschehen. Nur ein zarter gelber Streifen deutet im Bild einen neuen Anfang an. Es ist der Anfang einer neuen Geschichte, denn die Kunde von der Auferstehung verbreitet sich trotz der anfänglichen Zweifel wie ein Lauffeuer.