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Wie lebt ein Muslim unter Christen?

VereinsschildEs ist ein Bau, der dort draußen in Etzenhausen kaum auffällt. Mit Erd- und ausgebautem Dachgeschoss. Zugleich stolz und bescheiden sich hinduckend am Fuße eines Hügelausläufers. Auf dessen Anhöhe thront, nur 100 m entfernt, ein Kirchlein mit spätgotischem Chor. Es ist St. Laurentius geweiht, dem Märtyrer und Schutzpatron der Hirten und der Köche. Hier unten weisen vier kerzengerade aufgerichtete Fahnenmasten, an denen türkische, bayerische und deutsche Flaggen wehen, und ein kleines Schild mit dem Namen des Vereins den Weg. Eine Moschee mit Kuppel und Minarett besitzen die Dachauer Muslime nämlich noch nicht. Ihr nobler Gebetsraum liegt – fast ein wenig versteckt – in der von-Herterich-Straße. Dort also war der fast vollzählige Pfarrgemeinderat von Mariä Himmelfahrt am 15. November 2008 für gut drei Stunden zu Gast. Zu Gast beim Türkisch-Islamischen Verein von Dachau. Der Vorsitzende, Herr Mustafa Denel, hatte seine katholischen Gäste in den Gebetsraum ganz im Norden der Stadt eingeladen, einfach weil er überzeugt ist, dass man „den anderen“ mit Sicherheit besser versteht, wenn man ihn in seinem ureigensten Umfeld kennenlernen kann.

In der von-Herterich-Straße, links oben St.Laurentius

Mustafa Denel schilderte seinen aufmerksamen Gästen eindrücklich, wie das religiöse Leben eines muslimischen Mitbürgers abläuft. Und der Vereinssekretär, Herr Hulusi Kabalcioglu, sowie der Hodscha (Gemeindeleiter und Vorbeter), Herr Mehti Kulaz, vermittelten obendrein auch grundlegende Kenntnisse über den Islam. Alle drei versicherten immer wieder, dass im Vereinshaus Gäste jederzeit willkommen seien, dass das Haus immer offen stehe. Es gebe nichts zu verbergen. Herr Kulaz dankte dem deutschen Staat, der die freie Religionsausübung zulasse. Zum Abschluss betonte er, eine Feindschaft zwischen den Religionen und den Angehörigen der verschiedenen Religionen sei abwegig. Dass es gute und schlechte Menschen auf der Welt gebe, habe vorrangig nichts mit den Religionen selbst zu tun. Islam bedeutet Frieden, Sicherheit und Hingabe. Herr Pastoralreferent Peter Heimann dankte für den spannenden, kompakten Nachmittag und den Hochgenuss mit original türkischen Leckereien am Abend. Er lud die Gastgeber herzlich zu einem Gegenbesuch ein.

Vorsitzender und Imam

Eine Moschee („Ort der Niederwerfung“), aber genauso auch ein Gebetsraum wie der hier in Dachau, das ist zum einen ein ritueller Ort für das gemeinschaftliche islamische Gebet. Doch darüber hinaus dient die Stätte auch der ethischen und lebenspraktischen Wertevermittlung im Geiste des Islam. Und es ist nicht zuletzt ein sozialer Treffpunkt. Die Moschee ist daher mit einer christlichen Kirche, die fast ausschließlich für Gottesdienste genutzt wird, kaum zu vergleichen.

Beim Abendgebet

Welche Regeln hat der Muslim/die Muslima (Muslimin) zu beachten?

Es ist geboten, vor dem Betreten der Moschee die Schuhe auszuziehen. Vor dem Gebet wird die rituelle Waschung vollzogen. Der Muslim betritt eine Moschee mit dem rechten Fuß und verlässt sie mit dem linken. Gebetet wird in Richtung der Kaaba in Mekka, die durch die Qibla angezeigt wird. Da Frauen von Männern beim Gottesdienst nicht beobachtet werden dürfen, beten die Frauen hinter den Männern oder abgetrennt in eigenen Räumen oder auf einer Empore. Das Kopftuchgebot für Mädchen und Frauen wird in den islamischen Ländern unterschiedlich gehandhabt. Beim Gebet ist das Kopftuch jedoch Pflicht. In der Türkei schaffte Atatürk das Tragen des Kopftuchs in öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen, Universitäten und dem Parlament ab, stieß aber auf Widerstand der weiblichen Bevölkerung. Die islamischen Speisevorschriften sind im Koran und in der Sunna geregelt. Alkohol und u.a. der Verzehr des Fleisches von Tieren, die selber Fleischfresser sind, ist nicht erlaubt.

Der Imam

Grundsätze des Islam, die jeder Muslim erfüllen muss, die „fünf Säulen“:

1 Das Glaubensbekenntnis (Schahada) lautet: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer (dem einzigen) Gott, und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.“ Das Aussprechen in ehrlicher Absicht vor zwei volljährigen Zeugen reicht aus, um Muslim zu werden. Der Glaubenssatz der Schahada ist auch das Erste, was einem Neugeborenen ins Ohr geflüstert wird, und der letzte Gruß an einen Sterbenden.

2 Das Gebet ist religiöse Pflicht. Es wird täglich zu fünf – im Kalender festgelegten – Zeiten verrichtet: in der Morgendämmerung, mittags, nachmittags, abends und nach Einbruch der Nacht. Die Zeiten sind recht variabel, weil sie vom Stand der Sonne abhängig gemacht werden. Zuvor erfolgt die rituelle Reinigung. Großer Wert wird auf das Mittagsgebet am Freitag (Freitagsgebet) gelegt. Es wird von der Predigt begleitet, deren Grundlagen der Koran und die Aussprüche des Propheten sind und die oft auch tagesaktuelle Fragen behandelt.

3 Die Almosenabgabe, eine Art Kirchensteuer, wird für Bedürftige, Kranke, für die Befreiung Gefangener, den Dschihad, zum Aufbau religiöser Schulen u.a. verwendet.

4 Das Fasten findet alljährlich im Monat Ramadān statt. Gefastet wird von Beginn der Morgendämmerung bis zum vollendeten Sonnenuntergang; es wird nichts gegessen, nichts getrunken (auch kein Wasser), nicht geraucht, und es wird auch Abstinenz im Verhalten geübt.

5 Die Pilgerfahrt nach Mekka (Haddsch) soll jeder Muslim einmal in seinem Leben antreten, um dort u. a. die heilige Kaaba siebenmal zu umschreiten.

Offen für alle Fragen der Besucher: der Vereinssekretär, Herr Hulusi Kabalcioglu

Im Islam gibt es sechs wesentliche Glaubensartikel. Der Muslim glaubt an ...

* den einzigen Gott, arab. Allah. Der Islam ist eine ausgeprägt monotheistische Religion. Die christliche Vorstellung der Dreifaltigkeit wird ausdrücklich abgelehnt, ebenso jede Personifizierung oder gar bildliche Darstellung Gottes.

* seine Engel

* seine Offenbarung (Heilige Schriften und den Koran)

* seine Gesandten, die Propheten Gottes, darunter Adam, Abraham, Moses, Jesus und zuletzt Mohammed

* den Tag des jüngsten Gerichts und das Leben nach dem Tod: Der Mensch wird eines Tages für seine Taten zur Verantwortung gezogen und mit dem Höllenfeuer bestraft bzw. mit dem Paradies belohnt.

* die göttliche Vorsehung.

Beim fröhlichen gemeinsamen Essen

                                                                                                                                     Dieter Reinke




Hintergrundinformationen I:

Der Türkisch-Islamische Verein in Etzenhausen gehört der DİTİB (abgekürzt aus: Diyanet İşleri Türk İslam Birliği) an. Dieser bundesweit tätige Verein mit Sitz in Köln wurde 1984 unter der Leitung und Aufsicht des türkischen Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet İşleri Bakanlığı, kurz: Diyanet) gegründet. Das Diyanet ist eine staatliche türkische Behörde zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten, eine Art Religionsministerium. Gleichzeitig ist es eine hohe islamische Autorität im Land. Das Diyanet besteht aus den fünf Hauptabteilungen Religiöse Dienste, Religiöse Erziehung, Religiöse Publikationen, Außenbeziehungen und Wallfahrtswesen. In der türkischen Form des Laizismus muss man also eher nicht eine strikte Trennung von Staat und Religion sehen, sondern vielmehr eine Unterordnung, die Überwachung der Religion durch den Staat. Die Hodschas (Gemeindeleiter und Vorbeter) in Deutschland werden als Staatsbeamte besoldet und von Ankara aus für jeweils vier bis fünf Jahre entsandt. Das Diyanet ist ebenfalls zuständig für die Ausrichtung aller Korankurse. Es nimmt außerdem starken Einfluss auf die Freitagspredigten der Imame bis hin zum detaillierten Wortlaut; damit können sogenannte Hasspredigten zuverlässig unterbunden werden.

Cem Özdemir in Dachau (Mitte September 2008)Das Diyanet betreibt eine nicht extreme Islam- und Koran-Auslegung. Deutliches Signal dafür: 2005 wurden zwei Frauen als Vize-Mufti in Kayseri und Istanbul ernannt. Weibliche Vorbeterinnen dürfen auch als Imame für die Musliminnen aktiv sein. Unter der gegenwärtigen Führung präsentiert sich die DİTİB betont als integrationswillige Kraft in der deutschen Gesellschaft. Sie war im November 2004 Mitinitiator der großen Massenveranstaltung „Gemeinsam für Frieden und gegen Terror“ mit über 20.000 Muslimen. Ziel der Veranstaltung war es, sich von jeglichem Gewalteinsatz im Namen des Islam zu distanzieren. Unter den Gastrednern waren die Politiker Günther Beckstein und Claudia Roth. Mit der Zulassung der deutschen Sprache, z.B. für den islamischen Religionsunterricht, tut sich die DİTİB allerdings noch schwer. In der Türkei werden die Integrationsbestrebungen türkischstämmiger Deutscher zum Teil nicht akzeptiert. Während der Co-Chef der Grünen, Europaparlamentarier Cem Özdemir, zum Beispiel in Deutschland wegen seines großen Engagements für die Integration höchstes Lob einheimst, wurde er (lt. ARD-Videotext vom 15.11.2008) in der größten türkischen Tageszeitung Hürriyet schon als Landesverräter beschimpft. Aydin Dogan indessen, Besitzer des Hürriyet und „drittmächtigster Mann der Türkei“, unterstützt Integration. Er wünscht sich (lt. SZ vom 19.11.2008), „dass die deutschen Staatsbürger türkischer Herkunft, aber auch diejenigen, die noch nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben, keine Parallelgesellschaft bilden, sondern Teil der deutschen Gesellschaft werden.“


Hintergrundinformationen II:

Persönliche Gedanken von Peter Heimann nach der Lektüre des Koran finden Sie in unserem Online-Archiv bei den Theologischen Skizzen unter „Religionen im Dialog“. Bitte klicken Sie auf das Stichwort im vorigen Satz.